1200 Jahre Haslach

"Das Jahrhundert im Rückblick": 1976

von HELGE BENDL

Tagelang wurde gefeiert. Historiker blickten in Vorträgen weit in die Geschichte des Ortes und des ganzen Gäus zurück, in einer Chronik wurde die Landschaft und deren Bewirtschaftung in den vergangenen Jahrhunderten erläutert. Ein imposanter Festzug vereinte künstlerischen Einfallsreichtum, attraktive Ausstattung und Chronistengeist: Haslach beging im September 1976 sein 1200-jähriges Bestehen. "So viele Menschen hatte die Gemeinde auf der Anhöhe im Südwesten Herrenbergs noch nie gesehen", berichtete der "Gäubote" auf einer Bilderseite über das Spektakel.

Archivstudien im Rathaus und der Kirche, Herrenberger Quellen von Stadtarchiv und Dekanat, Urkunden aus den Kellern des Oberkirchenrats und der Landesbibliothek: Dr. Walter Gerblich, der ehemalige Ortsgeistliche und Lehrer, hatte lange Zeit recherchiert und stellte schon vor der offiziellen Feier das Haslacher Heimatbuch vor und ging darin auch den vor Ort lebendigen Überlieferungen nach. Der erste Beitrag zur 1200-Jahr-Feier war in den Buchhandlungen für acht Mark zu haben.
Haslach schon seit eh und je (und nicht erst seit der wie vielerorts umstrittenen Eingemeindung am 1. Dezember 1971) mit Herrenberg verbunden? Der Kelch im Ortswappen war ursprünglich das Rechtszeichen des Herrenberger Stifts und kein Symbol für die verschiedenen kirchlichen Rechte, sagte Altlandrat Karl Heß in der Festansprache zum Auftakt der Jubiläumsfeier. Der Vorsitzende des Heimatgeschichtsvereins im Kreis Böblingen ließ es aber nicht bei einem Blick in die vergangenen Jahrunderte bewenden, sondern erläuterte die Siedlungsgeschichte des Gäus. 1951 wurde in Haslach ein steinernes Beil gefunden ein Hinweis, dass schon im Jahr 3000 vor Christus in der mittleren Steinzeit Menschen im Gäu Ackerbau betrieben. Vom Nomadentum der Jäger und Sammler hatten sich die Vorfahren schon verabschiedet, später schmiedeten sie in ihren Siedlungen aus Bronze und Eisen ihre Arbeitsgeräte. In der Nachbarschaft von Haslach finden sich einige Grabhügel aus dieser Zeit.
Um 600, so vermutete Heß, wurden in der Nähe eines großen Haselnussbusches Höfe errichtet. Am ersten November im achten Jahr des Königs Karl, also 775 nach Christus, wird Haslach samt 15 Leibeigenen von seinen fränkischen Herren dem Kloster Lorsch an der Bergstraße geschenkt. Auch die Klöster Bebenhausen, Reutin, Güterstein und das Chorherrenstift Sindelfingen erlangten später Besitz und Rechte in Haslach.
Die Entwicklung von der Vergangenheit zur Gegenwart war auch das Oberthema des Festzugs, der unter der Regie des Herrenberger Stadtarchivars ein Jahr lang vorbereitet wurde. Gut 300 Mitwirkende zählt der Chronist des "Gäubote", in 42 Bildern und 35 Festwagen wurde von der vorchristlichen Besiedlung bis zum dörflichen Leben der 70er Jahre die Ortsgeschichte rekapituliert. Historische Szenen als Augenweide für die Zuschauer: Männer mit Bärenfell und erlegtem Eber, ein römischer Kampfwagen mit den stolzen Kriegern, der stimmgewaltige "Fleckaschütz" und ein Hundesgespann als Brot- und Milchfuhrwerk. Auch eine französische Kapelle aus Tarare war beim Festwochenende mit am Start. Als "eine Geburtstagsparty, wie sie in 100 Jahren nur einmal vorkommt" wurde das "Jahrhundertereignis" mit über 10 000 Besuchern beschrieben. Manche Haslacher hatten sich auch mit der Kamera mit ihrem Ort beschäftigt, die Ergebnisse waren in einer Fotoausstellung zu sehen. Und am Ende spielte sogar das Wetter mit, statt Regen gab"s sogar Sonnenschein. Kommentar einer Haslacherin: "Mir send halt doch liabe Leut." Auch eine andere Gemeinde feierte 1976 Jubiläum: Deckenpfronn, dreimal durch die Pest, die Zerstörung 1634 durch den Dreißigjährigen Krieg und 1945 durch den Zweiten Weltkrieg am Rande seiner Existenz, beging sein 900-jähriges Bestehen.
Die Jahrgänge 1897 bis 1972 trafen sich im Festzelt, bei einem Heimatabend wurde die resoluteste Frau Deckenpfronns im 16. Jahrhundert vorgestellt. Schon 1052, so vermutete Professor Dr. Hans Martin Decker-Hauff bei der Feier, besaß der Ort eine Kirche. Das Dorf an der Grenze zum Schwarzwald sei vermutlich noch viel älter als 900 Jahre: Der Historiker zog Parallelen zum Kloster Hirsau, das um die Zeit Karls des Großen 830 entstand. Tausende von Zuschauern genossen beim Festzug am Straßenrand einen farbenprächtigen Geschichtsunterricht: Der Abt Johann von Deckenpfronn zog mit seinen Zisterziensermönchen vorbei, die kleinste Gemeinde im Kreis Böblingen wurde indes auch an die Katastrophen erinnert, die den Ort einst heimsuchten.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf „Alle erlauben“ erklären Sie sich damit einverstanden. Weiterführende Informationen und die Möglichkeit, einzelne Cookies zuzulassen oder sie zu deaktivieren, erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.